Card Case
Wessel, Torben
In seiner Ausstellung Keine Ideen? thematisierte Torben Wessel Prozesse der Werterzeugung und verfolgte dabei das Prinzip der Mimikry. Den Vitrinen wurde für den Zeitraum der Ausstellung ihre ursprüngliche Funktion als Marketinginstrument wiedergegeben, indem Wessel Repliken von Reklametafeln aus Eichenfunier installierte, die zur Vermietung angeboten wurden. Die Reklametafeln selbst wurden durch eine eigene Kampagne mit Karten und der Webseite www.keineideen.de beworben. In dokumentarischen Fotografien, die als eine Art Platzhalter dienten, griff Wessel das von ihm verfolgte rekursive Prinzip der „Werbung für Werbung“ auf. Der ursprüngliche Zweck von Werbung besteht darin, Kaufanreize zu schaffen und in der Folge Gewinn zu generieren. In der Ausstellung jedoch wurden die geringen Einnahmen der Vermietung bei einem Bingoabend verlost. Die Ausstellung imitiert und adaptiert somit klassische Strategien der Wertschöpfung und schließt sie zugleich kurz. Weder beim produzierenden Künstler noch bei der finanzierenden Institution entsteht letztendlich ein materieller Gewinn. Damit referiert Wessel gleichzeitig auch auf kunstimmanente Prozesse der Kommodifizierung und des Wettbewerbs.
Für die Jahresgaben adaptiert Wessel einen Gegenstand aus der Mode und fertigt sechs Repliken von Kartenetuis an. Jedes Unikat simuliert ein anderes Modell. Die Etuis sind analog zu den Vitrinen und Reklametafeln aus Eichenfurnier hergestellt. Durch die Behandlung des Furniers mit Beize und Wachs bilden sich Spuren, sodass die Oberflächenstrukturen der einzelnen Objekte variieren. Mit Lasergravur werden Nahtstellen imitiert und dezente Verzierungen erzeugt. Durch die Transformation des Materials von Leder zu Holz handelt es sich nicht um flexible Gegenstände, die für die Mitnahme geeignet sind, sondern um fragile und statische Objekte. Dennoch sind die Kartenentuis nicht gänzlich ihrer Funktion befreit. In den Fächern stecken einzelne Visitenkarten und Bingoscheine. Die Inhalte der Etuis sind Objekte aus Wessel Ausstellung und werden in dem neuen Kontext zu Hinterlassenschaften vermeintlicher Vorbesitzer:innen. Ist das Kartenetui üblicherweise ein Gegenstand das auch finanzielle Optionen beinhaltet – in Form von Scheckkarten oder Geldscheinen -, symbolisieren die Inhalte der Jahresgaben die Hoffnung auf Einkommen durch Vermietung oder Glücksspiel. Der Verkaufspreis der Jahresgaben richtet sich nach den günstigsten Preisen, die für Kartenetuis von Designermarken wie Dior und Louis Vuitton abgerufen werden. Dem Kunstobjekt und der Designermode ist gemeinsam, dass ihr Verkaufspreis vorrangig nicht durch ihre Materialität, sondern ihren Distinktionscharakter bestimmt wird. Kunst kann ebenso wie Designermode Ausdruck von Luxus sein.